Die demografische Alterung wird auf dem Wohnungsmarkt zunehmend zum Problem. Denn es fehlt an geeigneten Wohnungen für die Baby-Boomer. In Zürich ist die Situation besonders prekär, die Verbände sind sich uneinig, wie damit umgegangen werden soll.
Titelbild: Mit zunehmender Überalterung der Gesellschaft rücken Fragen rund um das Wohnen im Alter immer stärker in den Fokus.
(Bild: Bing Create)
Autor:innen: Andreas Giger und Evamaria Rist
Ein rutschfestes Bad, schwellenlose Böden und ein Lift: Bald brauchen die Baby-Boomer altersgerechte Wohnungen, doch diese sind eine Seltenheit. Die aktuelle Wohnungsnot verschärft das Problem. Dazu kommt, dass solche Wohnungen teurer sind. Viele Menschen, die von der Rente leben, können sich keine hindernisfreie Wohnung leisten und bleiben in einer ungeeigneten Wohnung. Manchmal bleiben sie, bis sie in ein Altersheim gehen, obwohl sie in einer passenden Wohnung noch selbstbestimmt wohnen könnten. Um diesem Lock-In-Effekt entgegenzuwirken, brauche es eine Anpassung im Mietrecht, die Erhöhungen des Mietpreises bei einem Mieterwechsel massiv einschränke, sagt Walter Angst, Kommunikationsleiter des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich. Doch teilweise wollen Ältere für eine neue passendere 70m2-Wohnung nicht genauso viel zahlen wie die alte 120m2 grosse Wohnung. Um älteren Menschen einen solchen Wohnungswechsel zu erleichtern, brauche es Subjekthilfe für geringverdienende Personen, sagt Albert Leiser, Direktor des Hauseigentümerverbands Zürich. Subventionen für überhöhte Mieten sei der falsche Weg, sagt Angst. Notwendig sei nur, dass Beschränkungen der Mieten von Personen mit Ergänzungsleistungen oder Sozialhilfe an die realen Marktverhältnisse angepasst würden.
Mit gemeinnützigen Wohnungen gegen die «graue Wohungsnot»
Das Bundesamt für Statistik schätzt, dass im Jahr 2050 im Kanton Zürich 38.1 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre alt und mehr ist. Das sind 11 Prozent mehr als 2019. In Deutschland spricht man bereits von einer «grauen Wohnungsnot». Der Deutsche Baustoff-Fachhandel fordert ein Förderprogramm für altersgerechte Neu- und Umbauen. In der Schweiz sei die Situation eine andere, sagt Angst. Denn die Gemeinden verfügen über Mittel, den Bau von Alterswohnungen zu finanzieren. Das Problem sei der Zugang zu Bauland. Er fordert deshalb ein Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand, um gemeinnützigen Wohnungsbau zu fördern. Eine solche Einschränkung brauche es nicht, sagt Leiser. Wenn der Staat mit Steuergeldern Wohnungen kaufe, dann würden weniger Wohnungen auf dem freien Markt übrigbleiben. Stattdessen soll die allgemeine Bautätigkeit mit weniger Vorschriften gefördert werden.
Zahlen des Statistischen Amtes des Kantons Zürich zeigen, dass in der Stadt Zürich der Anteil an über-65-Jährigen so tief ist wir in kaum einer anderen Gemeinde. Nur Volken, Opfikon und Schlieren haben noch weniger. Auch Leerkündigungen sind ein Grund, warum einige Menschen im Alter der Stadt den Rücken kehren. Angst wünscht sich ein stärkeres Engagement der öffentlichen Hand: «Die Stadt Zürich muss in der Lage sein, den Menschen, die eine Kündigung erhalten haben, eine Ersatzwohnung anzubieten.»

«Die Stadt Zürich muss in der Lage sein, den Menschen, die eine Kündigung erhalten haben, eine Ersatzwohnung anzubieten»
Walter Angst, Kommunikationsleiter des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich
Der Bau von Alterswohnungen wird im Kanton Zürich zwar als öffentlicher Auftrag angesehen, doch das Angebot kann die Nachfrage nicht decken, das bestätigt Angst. Gemäss Leiser baut man in Zukunft altersgerechte Wohnungen kleiner, sodass sie günstiger werden. Gleichzeitig kann man eine Verkleinerung der Wohnfläche pro Person noch nicht beobachten. Gerade ältere Menschen haben einen besonders hohen Wohnflächenverbrauch: Während der:die durchschnittliche Zürcher:in 45.1 m2 verbraucht, sind es bei Personen über 65 Jahren im Durchschnitt 70.2 Quadratmeter. Leiser sagt dazu: «Es ist eine Frage des Wohlstandes. Wer sich Wohnfläche leisten kann, wird das weiter tun.» Genau dort sieht Angst das Problem: «Neubauten werden immer für Haushalte gebaut, die ein hohes Einkommen haben und mehr Wohnraum wollen. Deswegen wird viel Wohnraum aus den 1950 bis 1990er-Jahren mit kleineren Zimmern und besseren Nutzungsmöglichkeiten abgerissen.»

«Es ist eine Frage des Wohlstandes. Wer sich Wohnfläche leisten kann, wird das weiter tun.»
Albert Leiser, Direktor des Hauseigentümerverbands Zürich
Verdichten ist das Kredo im Wohnungsbau
Um schnell und einfach zu verdichten, fordert Leiser eine einfache Umsetzung für Aufstockungen, schnelle Bewilligungsverfahren und eine Lockerung der kantonalen Richtplänen. Oft wird jedoch nicht mit Aufstocken, sondern mit Ersatzneubauten verdichtet, was für viele Zürcher:innen eine Kündigung im Briefkasten zur Folge hat. Angst fordert deshalb ein Verbot von Leerkündigungen. Eine aktuelle Studie der ETH Zürich zeigt, dass Neubauten vulnerable Personengruppen aus der Stadt verdrängt. Sie ziehen in Agglomerationsgemeinden wie Adliswil, Dietikon oder Bülach. Doch auch in der Agglomeration brauche es ein Umdenken, sagt Angst. «Dort gibt es grosses Potential zur Förderung von preisgünstigem Wohnraum»
300 Millionen für gemeinnützigen Wohnbau
Der Mieterinnen- und Mieterverband fordert eine Verpflichtung für private Immobilienkonzerne, bezahlbaren Wohnraum zu erstellen. Leiser verweist erneut auf die Subjekthilfe: «Das ist nicht die Aufgabe von privaten Organisationen». Am 18. Juni stimmen die Stimmbürger:innen der Stadt Zürich über den Wohnraumfonds ab. Mit 300 Millionen Franken soll der gemeinnützige Wohnbau gefördert werden. Damit will die Gemeinde dem Ziel von einem Drittel gemeinnütziger Mietwohnungen näherkommen. Das Drittelsziel beruht auf einem Volksentscheid aus dem Jahr 2011.
«Es braucht eine Diversifizierung der Angebote»
Nicola Hilti ist Forscherin und Dozentin am Institut für Soziale Arbeit und Räume der Ostschweizer Fachhochschule. Sie doktorierte am Departement Architektur der ETH Zürich und hat an verschieden Projekten im Bereich Wohnen im Alter mitgearbeitet. Sie sagt, dass ältere Menschen alles andere als eine homogene Gruppe mit einheitlichen Bedürfnissen sind. Trotzdem gäbe es Ideen in der Städteplanung, um das Wohnen im Alter zu erleichtern.

Was sind die Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche im Alter?
Zu den grössten Schwierigkeiten für ältere Menschen zählt, dass sie auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt werden. Viele Vermietende befürchten einen Mehraufwand mit älteren Mietenden, sodass sie lieber an Jüngere vermieten. Hinzu kommt, dass man heutzutage mit digitalen Suchplattformen auskennen und schnell reagieren muss; da fällt es älteren Menschen mitunter schwer, mitzuhalten.
Welche Aufgaben hat die Politik, um die Wohnungssuche im Alter zu erleichtern?
Die Politik setzt Rahmenbedingungen für die Wohnraumförderung. Die Gemeinden haben dazu vielfältigen Möglichkeiten. Zum Beispiel mit aktiver Bodenpolitik, kommunalem Wohnungsbau, mit Vorgaben im Rahmen verschiedener Planungsinstrumente, mit der Kommunikation mit Wohnungsunternehmen, mit der Förderung von Qualität und Innovation, oder mit ergänzenden sozialen Massnahmen. Die Kantone haben sehr unterschiedlich ausgeprägte Traditionen und Aktivitäten der Wohnraumförderung. Schon sehr lange aktiv sind beispielsweise Zürich und Genf. Und schliesslich beschliesst der Bund verschiedene Gesetze zur Wohnbauförderung und zur Förderung des preisgünstigen Wohnens. Bezogen auf ältere Menschen kann dadurch auch ein besonderes Augenmerk auf Hindernisfreiheit, Leistbarkeit und Wohnsicherheit gelegt werden. Es gibt auch spezifische Projekte wie Wohnungstausch-Plattformen. Eine Idee, die gerade in Basel erprobt wird ist, dass Ältere in grossen Wohnungen in eine kleinere Wohnung ziehen. Und es gibt städtische Anlaufstellen, die Menschen unterstützen, denen ihre Wohnung gekündigt worden ist, beispielsweise in Zürich.
Welche Kriterien muss eine Wohnung erfüllen, dass sie sich für Menschen im Alter eignet?
Eine gute Wohnung für Ältere hat Qualitäten im Bereich von «Hard Facts», zum Beispiel verschiedene Kriterien von Altersgerechtigkeit beziehungsweise Hindernisfreiheit, sodass auch mit körperlichen Einschränkungen noch gut in der Wohnung gelebt werden kann. Hinzu kommt eine gute Erreichbarkeit zu Fuss und mit dem ÖV von Versorgungsdienstleistungen, Arztpraxen etc. Ein hochwertiges Wohnumfeld, das zum Verweilen einlädt, hebt ebenfalls die Wohnqualität für Ältere. Dafür braucht es zum Beispiel ausreichend Sitzgelegenheiten. Ebenso wichtig sind aber «Soft Facts» wie eine gute Nachbarschaft, ein Gefühl von Daheim und die Identifikation mit dem Quartier. Man muss aber auch sagen: Ältere Menschen sind alles andere als eine homogene Gruppe mit einheitlichen Bedürfnissen. Vielmehr stellt die Altersforschung fest: Je älter, desto verschiedener werden die Menschen, das heisst es gibt auch ganz unterschiedliche Wohnbedürfnisse.
Was sind die städtebaulichen Herausforderungen mit der demografischen Alterung?
Ein Thema ist zum Beispiel, dass ältere Menschen stärker auf kurze und hindernisfreie Wege im Alltag angewiesen sind als Jüngere. Sie benötigen kleine überschaubare Quartiere, in denen sie sich gut selbständig versorgen können. Eine Idee dafür ist die sogenannte 15-Minuten Nachbarschaft.
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Das Konzept der 15-Minuten-Nachbarschaft hat das Ziel, dass für die Bewohner:innen alle grundlegenden Dienstleistungen in 15 Minuten zu Fuss oder mit dem Velo erreicht werden können. Dazu gehören Einkaufsmöglichkeiten, Schulen, Parks, Restaurants und Gesundheitszentren. So werden die Nachbarschaften zu selbstständigen Stadtteilen. Somit soll das Auto ein weniger wichtiges Transportmittel werden und damit Städte klimafreundlicher machen. Ausserdem sollen durch die lokale Bindung zur Nachbarschaft eine Art Dörfer in der Stadt entstehen. Die Idee kommt ursprünglich aus Paris. Dort wird sie bereits umgesetzt und gilt als Vorbild für andere Städte auf der ganzen Welt.
Welche Wohnformen im Alter haben Zukunft?
Es braucht ein Wohnungsangebot, das auf eine Bedürfnisvielfalt reagiert. Das bedeutet eine Diversifizierung der Angebote, die auch leistbare altersgerechte Wohnformen beinhalten. Ausserdem sollten wir Ansätze finden, um Älteren, denen ihr Haus oder ihre Wohnung zu gross und vielleicht zur Belastung geworden ist, beim Umzug in eine kleinere Wohnung unterstützt werden können. Und es braucht Angebote wie zum Beispiel Siedlungscoaches für die Anliegen Älterer, wie es sie inzwischen schon bei vielen Genossenschaften und Alterssiedlungen gibt. Solche Angebote und Dienstleistungen fördern auch das «Zuhause-alt-Werden», ein nach wie vor weit verbreiteter Wunsch vieler Älterer.
Jung und Alt in einer WG: «Wir haben nichts geregelt»
Wohngemeinschaften müssen nicht immer zwischen Studierenden sein. Das zeigt das Projekt «Wohnen für Hilfe» von Pro Senectute Kanton Zürich. Es führt ältere Menschen, die auf zu viel Raum leben, mit Studierenden zusammen, die günstigen Wohnraum suchen. Die Studierenden müssen keine Miete bezahlen, dafür bei Hausarbeiten helfen. So eine Wohnform hat Timothée Gaspoz gefunden. Evamaria Rist hat die ungewöhnliche Wohngemeinschaft besucht.
Gemeinschaftliche Siedlung: «Hier kann ich gar nicht vereinsamen»
Wie Wohnen im Alter alternativ funktionieren kann, zeigt ein Projekt aus Winterthur. In der Genossenschaft «Zusammen_h_alt» wohnen ausschliesslich Personen über 55 Jahren. Vor drei Jahren konnten die Bewohner:innen in den Neubau einziehen. So auch Elisabeth Vetterli. Sie zeigt, wie das Haus eine Vereinsamung im Alter praktisch verunmöglicht.
Wohnungsnot: Nach unfreiwilligem Umzug hat sie umgedacht
Margrit Brunner und ihr Mann lebten fast 30 Jahre in Witikon. Im April 2020 erhielten sie eine Leerkündigung. Eine passende neue Wohnung fanden sie nur im entfernten Thurgau. Hier erzählt die 68-Jährige, was der Umzug aus ihrem Leben gemacht hat.

«Man muss die Schönheit auch aushalten können.» Das sagt Margrit Brunner über ihren jetzigen Wohnort, Eschenz im Thurgau. Ihr Weg in das kleine Dorf am Untersee verlief steinig. Jetzt fühlt sie sich nach der unfreiwilligen Wohnungssuche endlich wieder wohl. 28 Jahre lang wohnte Brunner mit ihrem Mann in einer 4.5-Zimmerwohnung in Witikon, einem Randquartier der Stadt Zürich. Dann erhielten sie die Kündigung von der Liegenschaft, die Wohnungen werden abgerissen. Viele Siedlungen in dem Quartier sind aus den 50er- und 60er-Jahren und sind sanierungsbedürftig. Weil sich eine Sanierung für die Eigentümer oftmals nicht lohnt, erstellen sie Ersatzneubauten.
Diese Wohnungen haben in der Regel einen deutlich höheren Mietzins als die alten Wohnungen. Eine Studie der ETH Zürich zeigte kürzlich, dass das Einkommen von Mieter:innen in Ersatzneubauten im Schnitt über 3500 Franken höher ist als dasjenige der Vormieter:innen.
Fakten und Gefühl müssen stimmen
Wie hoch die Miete im Glockenacker dereinst ausfallen wird, ist unklar. Die Bauarbeiten in der alten Siedlung von Margrit Brunner sind im Gange. Sie selbst merkte nach Erhalt der Kündigung: «Ich habe sofort gesehen, dass es zu diesem Preis nichts Vergleichbares mehr gibt in Stadt und Kanton Zürich.» Nichts Vergleichbares an dem Ort, an dem sich Brunner über Jahre ein Umfeld aufgebaut und «Wurzeln geschlagen hat», wie sie sagt. Ihre damalige Wohnung hatte eine Fläche von 121 Quadratmetern zu einem Mietzins von 2194 Franken. Gemäss Zahlen vom Kanton Zürich liegt der Durchschnitt des Wohnflächenverbrauchs bei über 65-Jährigen bei 70.2 Quadratmetern. Daher überrascht Brunners Erkenntnis nicht.
«Mein Umfeld glaubte mir nicht, dass ich nichts Geeignetes finde.»
Margrit Brunner
In der Stadt gibt es kaum etwas Passendes zu einem vergleichbaren Preis. Damit das Ehepaar mehr Zeit für die Wohnungssuche hat, wandte es sich an den Mieterinnen- und Mieterverband. Mithilfe dessen erlangten sie eine neunmonatige Mieterstreckung. Doch auch mit der neugewonnenen Zeit kamen keine geeigneten Wohnungsangebote auf den Markt. Darum erweiterten die beiden den Suchradius. Brunners Umfeld wollte ihr nicht so recht glauben, dass sie nichts Passendes in Zürich und Umgebung findet. Als ihr eine Freundin «wieder mal nicht glaubte», wollte sie dieser beweisen, dass es wirklich kein geeignetes Angebot gibt. Der Beweis scheiterte. Zwar fand sie nichts in der Region, sie stiess jedoch auf die Wohnung in Eschenz. 123 Quadratmeter inklusive grosser Terrasse und Garten für 2200 Franken. Das Onlineinserat sei gut bebildert gewesen, der Begleittext gut geschrieben. Ihr Interesse war geweckt. Mit der gestiegenen Neugier startete sie dann auch die Internetrecherche. Welches Baujahr hat das Gebäude? Welche kulturellen Angebote gibt es, was steht im Gemeindeblatt? Wie Brunner mit dem Recherchieren am Computer umgeht, ist nicht selbstverständlich. Viele ältere Menschen haben Mühe damit, das bestätigt auch Elisabeth Meier von der Fachstelle Zürich im Alter.
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Wohnungssuche: «Viele können das Tempo nicht mithalten»
Elisabeth Meier arbeitet bei der Fachstelle Zürich im Alter. Sie unterstützt ältere Menschen bei Wohnungsfragen. Warum das schnelle Nachdenken bei der Wohnungssuche ein entscheidender Faktor ist und worauf ältere Menschen achten sollen, erzählt sie im Interview.
Bild: Elisabeth Meier
Sie beraten ältere Menschen in der Stadt Zürich bei der Wohnungssuche. Wie kann die Fachstelle dabei konkret unterstützen?
Als Erstes informieren wir, wie die Wohnungssuche inzwischen abläuft. Auf welchen Seiten sind Wohnungen ausgeschrieben, wie bewirbt man sich, solche Dinge. Wir versuchen, die älteren Menschen für die Wohnungssuche zu coachen oder schauen, ob sie in ihrem Umfeld Personen haben, die sie gegebenenfalls unterstützen können.
Was ist für die Senior:innen die grösste Schwierigkeit bei der Wohnungssuche?
Für viele sind die digitalen Prozesse ein Problem. Es gibt einige Leute, die kein Smartphone besitzen und deshalb beispielsweise keine Push-Nachrichten mit neuen Wohnungsangeboten abonnieren können. Das Tempo ist eine weitere Hürde für ältere Menschen. Wenn sie eine Wohnung für einen Umzug in Betracht ziehen, wollen sie erst eine Nacht darüber schlafen. Sie wollen sich in Ruhe Gedanken machen, ob das Angebot wirklich passt. Heutzutage muss man aber direkt reagieren, Zeit zum Nachdenken bleibt wenig. Das kann sehr schwierig sein für Senior:innen.
Sollten Liegenschaftsverwaltungen ihre Bewerbungsprozesse altersfreundlicher gestalten?
Das wäre schön, aber ich denke nicht, dass so etwas realistisch ist. Das Gute ist aber, dass sich immer mehr ältere Menschen an digitale Prozesse gewöhnen. Mit der Zeit sollte also zumindest der digitale Aspekt kein grösseres Problem mehr darstellen.
Wie haben sich die Beratungen verändert, seit in der Stadt Zürich von einer Wohnungsnot die Rede ist?
Die Angst etwas Neues und auch passendes zu finden, ist eindeutig grösser geworden als vorher. Das liegt daran, dass man von verschiedenen Seiten hört, wie schwierig die Wohnungssuche mittlerweile geworden ist.
Wie reagieren ältere Menschen auf die Veränderungen vom Wohnungsmarkt?
Die einen erschrecken, wenn sie sehen, wie viel die Wohnungen inzwischen kosten. Wenn sie dann beispielsweise in eine kleinere Wohnung umziehen müssen, die aber mehr kostet als ihre jetzige, die mehr Zimmer hat. Die meisten wollen aber möglichst lange in ihrer aktuellen Wohnung bleiben und dort selbstständig leben. Viele merken aber mit der Zeit, dass sie für ein bleibendes Mass an Selbstständigkeit eine altersfreundlichere Wohnung benötigen. Das heisst, ein Haus mit Lift, breiten Türen, die mit Rollator zugänglich sind und möglichst ohne Türschwellen.
Eine altersgerechte Wohnung im eigenen Quartier zu finden, ist schwierig. Sind die Leute bereit für einen Quartierswechsel?
Vielen ist bewusst, dass die Wohnungssuche nicht einfach wird und dass sie sich mit einem Quartierwechsel auseinandersetzen müssen. Aber gerade für Menschen, die sehr lange in einem Quartier wohnhaft sind und dort sehr verwurzelt sind, ist es schwer, sich im Alter noch in einem neuen Quartier zurechtzufinden. Der Wunsch, möglichst in der Umgebung zu bleiben, ist gross. Wir beobachten aber: je näher der Kündigungstermin, desto höher die Bereitschaft für einen Quartierswechsel. Liegt die Kündigung in weiter Ferne, sucht man noch sehr quartierbezogen.
Da der Umzug in eine neue Region bedeutet, das gesamte Umfeld zu verlassen, war es ihr wichtig, das Vereins- und Kulturangebot in die Recherche miteinzubeziehen. Der neue Wohnort sollte aber trotzdem für Freund:innen gut erreichbar sein. Das Ehepaar empfängt regelmässig Besuch, auch aus dem Ausland. Die Wohnung in Eschenz überzeugte. Mehrmals schauten sie sich die Umgebung an, schlussendlich überzeugten nicht nur die Fakten, sondern auch das Gefühl vor Ort. Die beiden bewarben sich für die Wohnung. Es folgte die Zusage. Mit der kam auch die Erleichterung. Trotzdem vereinfachte das nicht den Wegzug aus Witikon. «Das Trauern und Hadern zieht sich über eine längere Zeit hinweg,» sagt Brunner. Es ist die Trauer, die geliebte Heimat zu verlassen und das Hadern mit der mangelhaften Wohnungspolitik.



Gemeinnützigen Wohnungsbau stärken
Die Politik sollte ihrer Meinung nach den gemeinnützigen Wohnungsbau stärken. Dieses Ziel könne man erreichen, indem die Stadt Häuser erwirbt und diese Wohnbaugenossenschaften zur Verfügung stellt, sollten letztere das notwendige Kapital nicht selbst aufbringen können. Als Beispiel, wie es sein könnte, nennt Brunner die Waadt. Dort haben Städte das sogenannte Vorkaufsrecht. Dabei kann die öffentliche Hand eine Liegenschaft zu einem Preis erwerben, den private Akteure zuvor ausgehandelt haben. Bevor diese den Handel abschliessen, kann die Stadt das Vorkaufsrecht geltend machen. So kann sie die Liegenschaft anstelle des eigentlichen Verhandlungspartners kaufen. Brunner zählt auch weitere Lösungsansätze auf, wie Mietzinskontrollen und Quoten für günstige Wohnungen.
Stadt-Zürcherin wird Thurgauerin
Wenngleich Brunner mittlerweile nur noch selten in ihrer alten Heimat ist und Witikon jetzt als ein Ausflugsziel bezeichnet, liegt ihr die Stadt Zürich noch am Herzen. Doch auch im 1885-Seelen-Dorf Eschenz fühlt sich Brunner wohl. Sie kennt nicht nur jeden Wanderweg in der Bodenseeregion, sondern auch alle Vogelarten, die sich am Ufer eingenistet haben. Fasziniert von Vögeln aller Art ist sie dann auch dem Natur- und Vogelschutzverein Steckborn beigetreten. Zudem ist sie Mitglied beim Verein Thurgauer Wanderwege. Diese Mitgliedschaften sind für Brunner der Grund, warum sie sich bereits nach einem Jahr nicht als Zürcherin oder Eschenzerin, sondern als Thurgauerin fühlt. Denn in Eschenz selbst sei sie noch nicht engagiert. Nebst der Natur sieht Brunner einen anderen Vorteil vom Leben auf dem Land: Die Informationswege sind um einiges kürzer als in der Stadt. Gibt es einen Ort am Ufer, an dem es komisch riecht, fragt man kurz die Gemeinde nach der Ursache und erhält eine Antwort. Zudem lernt man die Gemeinderäte schnell kennen, beispielsweise an der Fasnacht. Dazu sagt Brunner: «Auf dem Dorf beim Siezen zu bleiben, ist schwierig.»

Evamaria Rist studiert im vierten Semester Kommunikation an der ZHAW. Nebenbei arbeitet die gelernte Mediamatikerin als Marketingassistentin und im Detailhandel.