Jeden Sonntag wird auf dem Hardhof der Fussball anders zelebriert. Hier geht es nicht um den nächsten Werbevertrag, um möglichst grosse Gehälter beim nächsten Karriereschritt oder um die Profilierung der eigenen Marke. Es geht um die Freude am Spiel, um die Gemeinschaft im Team und manchmal auch echt um die Wurst.
In der Alternative Liga Zürich, die ihren Spielbetrieb 1977 mit dem expliziten Ziel, eine Alternative zum Profifussball zu bieten, aufgenommen hat, spielen mittlerweile über fünfzig Teams, verteilt auf drei Ligen. Männer und Frauen jeden Alters sind willkommen. Einzige Voraussetzungen: Spass am Spiel und Sinn für Fairness. Die Liga hat Teams mit aussergewöhnlich kreativen Namen hervorgebracht. Der FC Blutgretchen zum Beispiel oder Sporting Morgenstern.
Was ist die Alternative Liga Zürich und wofür möchte Sie stehen? Nadja Zimmermann ist Co-Präsidentin der AL. Im Interview erzählt sie von den Werten der Liga und wie gut diese auf den Platz getragen werden.
Zum Einstieg, was hat sie dazu gebracht, Co-Präsidentin der Alternativen Liga zu werden?
Letzten Sommer ist der ehemalige Präsident abgetreten, und wir haben dann im ZK (Zentralkomitee) geschaut, wer geeignet sein könnte. Und weil es das Jahr war, in dem die Frauenliga ihr 20-jährige Jubiläum gefeiert hat. Und dann haben wir gedacht, es wäre doch jetzt ein guter Moment, eine Frau ins Präsidium zu nehmen. Und ich wollte das gerne machen, aber nicht alleine. Und so haben wir dann ein Co-Präsidium gemacht, so sind aus zwei von drei Ligen Leute im Präsidium vertreten.
Und wie bist du zur Alternativen Liga allgemein gekommen?
Ich habe damals mit 20 im El Local gearbeitet. Und die hatten zwei Teams in der Liga, aber kein Frauenteam. Und wir waren ein Paar Frauen, die sich gedacht haben, wir wollen auch mal ein Team auf die Beine stellen. Obwohl ich vorher noch nie Fussball gespielt habe. Und ich habe mir dann gedacht: Wenn, dann so, mit Freunden. Und so haben wir das Team vor 22 Jahren gegründet, dass es heute noch gibt.
Wie würden Sie die Werte der Liga in ihren Augen beschreiben?
Also sicher mal eine Liga, die eine Alternative zum Clubfussball ist. Und zwar das man nicht zweimal pro Woche trainieren muss und auch nicht diese ganzen Vorgaben hat, zum Beispiel keine Sponsorenläufe etc. machen muss. Gegründet wurde die Liga in den Achtzigern explizit mit dem Wunsch, weg vom Mainstreamfussball, von diesem ganzen Geld, der ganzen Maschinerie zu kommen. Früher war die Liga sehr politisch, das ist heute denke ich weniger so, aber die Werte sind denke ich schon immer noch da. Man schaut immer noch, das die Atmosphäre gut ist zwischen den Teams, auch wenn man gegen einander spielt. Das der Spass am Spiel und der Respekt vor den Gegner:innen im Vordergrund steht.
Wären Sie gerne wieder mehr politisch, wie damals?
Das schon. Die WM in Qatar war bei uns dieses Jahr ein grosses Thema. Da haben wir uns viele Gedanken darüber gemacht, ob und wie wir uns als Liga positionieren wollen. Da haben wir viel diskutiert. Und was bei uns im ZK auch immer wieder ein Thema war, das wir gewisse Werte zwar nach aussen tragen, aber auf dem Platz sieht es dann immer wieder anders aus. Wir hatten auch schon Gewaltvorfälle, die überhaupt nicht gehen.
Ihr habt seit 2020 in allen Spielen die Schiedsrichter:innen abgeschafft. Warum seid ihr zu dieser Entscheidung gekommen?
Bei den Frauen haben wir die schon vorher abgeschafft. Das lag vor allem daran, das in der Frauenliga wenig Lust da war, Spiele zu pfeifen, vielleicht auch weil Sie sich einfach nicht sicher genug gefühlt haben, richtige Entscheidungen auf dem Platz zu treffen. Und wir haben gesehen, das durch die Abschaffung die Selbstverantwortung gesteigert wird. Das Spielerinnen dann eher in der Lage waren, Fehlverhalten von Ihnen selbst anzuerkennen. Und wir haben sehr gute Erfahrungen bei den Frauen gemacht, das wir das dann auf die ganze Liga ausgeweitet haben, als die Corona-Krise gekommen ist, weil wir dort überall auf Schiedsrichter:innen verzichten mussten. Und dann haben wir abgestimmt, das wir Schiris für die ganze Liga abschaffen. Ausser für Abseitssituationen, wo wir nach wie vor Linenrichter:innen haben.
Und da habt ihr nur positive Erfahrungen gemacht?
Natürlich hatten wir schwierige Situationen. Aber im Allgemeinen hat sich die Entscheidung sehr bewährt. Wir bekommen zum Beispiel nicht mehr Beschwerden, es sind gleich viele wie vorher. Es gab bei den Männern schon Teams, die das blöd fanden ohne Schiri. Es liegt denke ich an den Einstellung der Teams, wenn sie hinter dem Entscheid stehen können, dann sind sie auch mehr darauf bedacht, schwierige Situationen so zu lösen, dass es keine Schiris braucht.
Merkt man, dass bei Spielen, in denen es um etwas geht (Meisterschaft Pokal etc.), die Fairness abnimmt?
Ja das passiert meistens dann. Das hat mit dem Ehrgeiz zu tun, der dann trotzdem immer noch da ist. Bei mir im Team ist das häufig so, dass wir eher versuchen, die gute Stimmung aufrecht zu erhalten und dann lieber nachgeben als zu diskutieren. Und das kann manchmal sehr frustrierend sein. Es gibt aber immer wieder Teams oder Spieler:innen, die die Werte nicht so leben, aber damit muss man klarkommen. Wir wollen ja auch niemanden ausschliessen.
Schuhe selber flicken und das bange Warten auf den Gegner
Auch die A.C. Tabula Rasant ist eines dieser Teams. Sie ist das mitgliederstärkste Team der Liga, stellt neben einer aktiven Herrenmannschaft auch zwei Teams in der Ehrenliga. Von 17-jährigen Schülern bis 35-jährigen Skilehrern und Bademeistern geht die Spannweite in der aktiven Mannschaft. Bei «Tabula» träumt man schon lange vom ersten Titel. Der ist dem Verein trotz bald dreissigjähriger Geschichte bisher verwehrt geblieben. Einige Male war man schon nah dran. Dieses Jahr soll es nun endlich klappen. Der Start in die Saison war erfolgreich. Am zweiten Spieltag liegt man an der Tabellenspitze. Die gilt es heute gegen den FC Eglisau zu verteidigen. Das Wetter ist unvorhersehbar. Mal regnet es in Strömen, fünf Minuten später scheint die Sonne. Klassisches Aprilwetter also, mitten im Mai. Die Spiele finden natürlich trotzdem statt, man ist ja nicht aus Zucker. Eine Stunde vor Anpfiff kommen die ersten Spieler. Die Atmosphäre ist sehr kollegial und entspannt, trotz des Wetters. Silvan, «Siilv» von seinen Teamkollegen gerufen, hat heute zwei Paar Schuhe mitgebracht. «Ich weiss nicht ob die Alten noch halten, aber ich probiere es erstmal mit denen», sagt er und macht sich daran, seine alten, abgetragenen Schuhe zu flicken. Mit Nadel und Faden näht er das Loch um die Zehen von seinem rechten Schuh. «So, das sollte halten, hoffentlich» sagt er. Heute hat man 15 Spieler zusammen bekommen. Zwei haben kurzfristig abgesagt, andere kommen etwas zu spät. «So ist das bei uns, manche kommen halt erst kurz vor Anpfiff. Man kann ja niemanden zwingen, pünktlich zu sein» sagt Sebastian, im Team «SeeBa» genannt. Nun muss nur der gewartet werden, ob der FC Eglisau erscheint. Es herrscht leichte Unruhe, für nichts an den Hardhof gekommen zu sein wäre sehr schade, sagt «SeeBa» etwas genervt. Doch der Gegner kommt dann doch, etwa 15 Minuten vor Anpfiff.
Alle sind dabei
Die A.C. Tabula ist ein Musterbeispiel, was die Liga hervorbringen kann. Rein aus der Lust am Spiel ist eine beeindruckende Struktur entstanden. Man hat eigene Trikots, einmal wöchentliches Training und sogar ein Trainingslager vor der Saison. Und auch eine Art Vereinsheim ist im Laufe der Jahre entstanden. Alle ohne die Allüren und das Versprechen nach Ruhm und Reichtum des Profifussballs. Und ohne die Unterstützung eines Vereins. Die meisten Zuschauer:innen bringt der Verein an die Spiele meistens auch mit. Heute sind es etwa zwanzig. Spielerfrauen und Veteranen aus der Ehrenliga, darunter auch Gründungsmitglieder des Vereins aus dem Jahr 1995, sind dabei.
-
Hier werden die Schuhe noch selbst geflickt (Quelle:Rasmus Krones)
-
Am Rand des Feldes wird rege diskutiert (Quelle:Rasmus Krones)
-
In der Pause ist die Stimmung konzentriert, man will hier unbedingt gewinnen (Quelle:Rasmus Krones)
-
Nach der Pause wird das Spiel hektischer und die Zweikämpfe härter (Quelle:Rasmus Krones)
-
Auch am Spielfeldrand steigt die Anspannung
(Quelle:Rasmus Krones)
-
Nach dem Spiel wird sich fair abgeklatscht, so wie es sich gehört
(Quelle:Rasmus Krones)
-
Was fehlt auf diesem Bild? Richtig, der «Schiri» (Quelle:Rasmus Krones)
Das Spiel beginnt. Der FC Eglisau startet mutig, die A.C. ist sofort in Bedrängnis. An der Seitenlinie bleibt man aber ruhig. Man weiss um die eigenen Stärken. «Die haben gute Spieler, sind aber noch kein Team wie wir, dass kommt gut» sagt Peter, einer der Veteranen des Teams. Er spielt seit sieben Jahren bei «Tabula». Und so kommt es dann auch. Durch drei gekonnte Gegenangriffe steht es auf einmal 3:0 für die A.C. So geht es dann auch in die Pause.
Spiel ohne «Schiri»
Auffällig am Spiel ist die grosse Fairness, mit der gespielt wird. Wer auf taktische Fouls und grosse Diskussionen hofft, kommt hier eindeutig zu kurz. Die Spiele werden nicht, wie anderswo, von Schiedsrichter:innen geleitet, sondern laufen komplett ohne diese ab. Einzig Linienrichter:innen, die von anderen Teams gestellt werden, gibt es. Sie sind zuständig für Abseitssituationen.
Nach der Pause dreht das Spiel noch einmal. Der FC Eglisau kommt stark aus der Unterbrechung zurück und erzielt sogar den Anschlusstreffer. Und dann doch noch ein Aufreger. In einem Zweikampf im Strafraum der A.C. kommt ein Spieler des FC Eglisau zu Fall. Ein klarer Penalty? Nach kurzer Diskussion wird dagegen entschieden. Mit der Entscheidung sind nicht alle zufrieden. Sie wird aber akzeptiert. Kurz darauf erzielt «Tabula» dann den Treffer zum 4:1 Endstand. Ein weiterer Schritt Richtung Meisterschaft ist getan. «Es ist schon lustig. Eigentlich geht es hier ja um nichts, aber der Ehrgeiz kommt dann doch immer wieder» sagt Claudio nach dem Spiel. Er ist seit 5 Jahren bei der «Tabula» dabei. In einem regulären Verein möchte er nicht spielen, da sei der Druck einfach zu gross. «Hier bleibt man meistens positiv, wir sind ja alles Kollegen».
Normalerweise bleiben die Meisten nach dem Spiel noch auf dem Hardhof. «Wir kommen meistens auf das erste Spiel, egal welches Team spielt, die aktive Mannschaft oder eins aus der Ehrenliga», sagt «SeeBa». «Ich spiele manchmal für zwei Teams am Tag, ich bin ja schon alt genug, um in der Ehrenliga zu spielen», sagt er. Manchmal sei man dann den ganzen Tag auf dem Hardhof, von 10 Uhr morgens bis am Abend. «Das machen wir schon mehr als andere Teams, wir haben von allen denke ich den stärksten Zusammenhalt, auch deswegen» sagt Peter. «Wir grillieren und verbringen den Tag miteinander, im Sommer schwimmen wir auch mal in der Limmat». Heute ist das Wetter dafür aber zu schlecht. Nächsten Sonntag vielleicht. Die Saison ist ja noch lang.