Winterthur hat eine bemerkenswerte Transformation in seiner Bierkultur durchgemacht. Die Veränderung vom Bier-Monopol zur Hochburg der Biere hat ihre Anfänge schon in den 90er-Jahren. Ein Blick auf die Bierkultur in der Region und die Brauereien, welche die Szene heute prägen.
Autorin: Jacqueline Wechsler
Titelbild: Seit Haldengut Winterthur verlassen hat, muss sich der alte Bierriese hintenanstellen; Bild: Jacqueline Wechsler
Die Brauerei Chopfab Boxer AG will ihre Biermenge in Winterthur verdoppeln. Dabei gehörte die Brauerei bereits davor zum grössten Craft-Beer-Hersteller der Schweiz. Seit 2012 prägt Chopfab, ehemals Doppelleu, die Bierkultur in Winterthur und darüber hinaus. Davor gab es eine Zeit, in der das Haldengut-Bier die einzige Wahl war. Doch die Ära des Bier-Monopols ist vorbei. Heute zählen neben Chopfab viele weitere Brauereien zur Bierkultur in Winterthur und machen die Stadt zu einer aufstrebenden Craft-Beer-Hochburg.
Was ist Craft-Beer?
Für diesen Begriff gibt es keine einheitliche Definition. Ein möglicher Ansatz bringt der Schweizer Brauerei-Verband: «Bei Craft-Bieren steht die Idee des Brauers für ein Bier am Anfang fest, es wird gebraut und veröffentlicht, unabhängig von der Nachfrage nach diesem speziellen Bier. Verkauft sich das Bier gut, ist dies ein schöner Nebeneffekt. Im Gegensatz dazu steht die Brauerei, welche ein Bier braut, welches vom Markt gefordert wird. Das Bier soll genau den Geschmack der Mehrheit treffen und erfolgreich im Markt agieren.» Kurz zusammengefasst: Craft-Beer ist ein Bier, das nicht grossindustriell, sondern handwerklich gebraut wird.
Bio-Bier aus dem Euelwies
Es riecht nach Hopfen und Gerstenmalz im Euelwies in Winterthur. Zwischen lauten Maschinen steht Daniel Reichlin, der Gründer von Euelbräu. Er erzählt, dass er die Brauerei 2002 aus einer Wette mit seiner Frau heraus gegründet habe. Es sei eigentlich ein Witz gewesen. «Ich meine, wer nennt denn eine Biermarke schon Euelbräu, wenn er das marketingmässig professionell aufbauen möchte?», sagt er lachend. Trotzdem ist Euelbräu in Winterthur bekannt und beliebt. Seit letztem Herbst lautet der neue Slogan von Euelbräu: «Bio ist unser Bier.» Damit sichert sich Daniel Reichlin einen Exklusivstatus in Winterthur. Anscheinend aber nicht genug. Vielmehr findet er, dass Brauereien an Exklusivität verlieren.
«Heute wird an jeder Strassenecke Bier gebraut»
Der Brauerei-Boom unterstützt zwar die Vielfalt an Bieren, hat aber auch einen entscheidenden Nachteil, findet Euelbräu-Gründer Daniel Reichlin. Im Audio spricht er über die Zukunft von Euelbräu und warum Mikrobrauereien schlecht fürs Geschäft sind.
Mikrobrauereien im Trend
Laut dem schweizerischen Brauereiverzeichnis gibt es in Winterthur derzeit ganze 14 steuerpflichtige Brauereien. Viele dieser Betriebe sind jedoch Mikro- oder Hobbybrauereien. Trotzdem sind auch sie steuerpflichtig. Denn ein Eintrag bei der Zollverwaltung ist bereits ab einem Ausstoss von 400 Litern erforderlich, oder auch bei geringeren Mengen, wenn Brauer*innen ihre Biere verkaufen oder verteilen möchten. Eine davon ist die im Jahr 2016 gegründete Brauerei CCLXXI. Simone Gisler und Stefan Erb sind zwar im Verzeichnis aufgelistet, verkaufen ihr Bier aber nicht. Sie sind anderer Meinung als Daniel Reichlin: «Nehmen wir zum Vergleich Kuchen. Bei selbst gemachtem Kuchen würde auch niemand sagen, dass dieser den Konfiseuren die Exklusivität raubt.»



«Alle müssen ihr eigenes Süppchen kochen»
Durch die Vielzahl an Brauereien steigt schlichtweg die Konkurrenz, findet Reinhard Müller. Er hat 2004 die Winterthurer Brauerei Stadtguet gegründet. Er betont aber: «Es herrschte schon immer ein Verdrängungskampf. Früher waren es die grossen Brauereien, heute kommen auch die kleinen dazu.» Man könne sich nur mit dem Produkt und der Dienstleistung eine gewisse Exklusivität wahren. Das ist Stadtguet gelungen. An den Swiss Beer Awards 2022 holte die Brauerei Silber für ihr ‹Stadtguet Amber‹ und Bronze für das Schwarzbier ‹Stadtguet Schwarz›. Trotzdem oder gerade deswegen sieht Müller die Lage positiv: «Mitbewerber sind gut und interessant. Am Ende müssen alle ihr eigenes Süppchen kochen». Um seine Brauerei mache er sich keine Sorgen. Er ist zuversichtlich: «Unsere treue Kundschaft ist der Grund dafür, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Wir profitieren davon, dass es uns schon länger gibt.»
Die Schweiz und ihre Brauereien
Der Brauerei-Trend begrenzt sich nicht nur auf Winterthur. Im Jahr 2022 zählte das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit insgesamt 1179 Betriebe in der Schweiz. Ein grosser Sprung im Vergleich zum Jahr 1991. Da gab es in der Schweiz gerade mal 32 Brauereien. Grund dafür war das Bierkartell, das bis dato fast 60 Jahre lang den Schweizer Biermarkt dominiert hat. Danach kannte die Brauereilandschaft nur noch einen Weg: nach oben. 2021 erreichte dieser Trend mit rund 1280 Brauereien seinen Höhepunkt. Ein Jahr später hat sich der Trend umgekehrt, und mehr als 100 Brauereien mussten ihren Betrieb einstellen. Das verdeutlicht die Einschätzung von Stadtguet-Gründer Reinhard Müller: «Im Moment sind zwar die kleinen Brauereien im Trend, aber das kann sich auch wieder ändern.»
Neues Haldengut – eher unwahrscheinlich
Fragt man in den Strassen von Winterthur, ist Haldengut nach wie vor ein bekannter Name. Die zweite Brauerei, die häufig genannt wird: Chopfab Boxer AG. Chopfab hat Produktionsstandorte in Winterthur und Yverdon-les-Bains. Im Frühling berichtete der Landbote, dass die Brauerei ihre Biermenge in Winterthur verdoppeln will. Dabei ist die Brauerei noch relativ jung. Erst 2012 wurde die Doppelleu Brauwerkstatt AG, heute Chopfab Boxer AG, gegründet. Bereits sechs Jahre später zählte sie zu einer der grössten Brauereien der Schweiz. Trotzdem wird Chopfab wohl kaum das neue Haldengut von Winterthur. Das hat weniger mit Chopfab selbst zu tun. Vielmehr lässt die heutige Bierkultur kein neues Haldengut-Monopol zu. Zu Zeiten des Bierkartells haben die Schweizer*innen hauptsächlich das Bier getrunken, dass in ihrer Gegend hergestellt wurde. Heute ist das nicht mehr so. «Die Gesellschaft denkt heute einfach anders», sagt Kaspar Müri im Interview.
Timeline: Jacqueline Wechsler; Quellen Text: Winterthur Glossar & haw.ch
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«Bier und Heimat sind miteinander verbunden»
Kaspar Müri ist Co-Geschäftsleiter bei Hako. Im Interview spricht Müri über das Bierkartell, das Ende von Haldengut und er erzählt, warum ein Bier-Monopol heute nicht mehr möglich ist.
Herr Müri, wie war die Situation in Winterthur zur Zeit des Bierkartells?
Es gab natürlich fast keine Brauereien mehr. Und die wenigen Brauereien haben ihre Gebiete untereinander genau aufgeteilt. Du hattest zum Beispiel den Falken in Schaffhausen, Schützengarten in St. Gallen und Haldengut in Winterthur. Wenn du also von Winterthurer Bier geredet hast, hast du immer Haldengut gemeint. Es gab aber nicht nur wenig Brauereien, sondern auch wenig Vielfalt. Jede Flasche hat gleich ausgesehen und es gab etwa zwei Biersorten.
Hako Genossenschaft
Wer über die Bierkultur in Winterthur spricht, kommt am Getränkehandel Hako in Winterthur nicht vorbei. Seit 1995 gibt es das Handelskollektiv, das lokale Brauereien und Betriebe rund um Winterthur fördern will. Hako zählt aktuell etwa 80 Genossenschafter*innen.
Das Bierkartell wurde 1991 aufgehoben. 1994 hat Heineken dann Haldengut aufgekauft. Besteht hier eine Verbindung?
Ich denke beim «Fall» von Haldengut hat vieles mit reingespielt. Mit dem Ende des Kartells kam ja auch das Kartellgesetz. Die Brauereien durften also beispielsweise keine Preisabsprachen mehr abhalten. Dazu sind ab den 70er-Jahren die neuen Craft-Beer-Brauereien in Amerika aufgekommen und in den 90ern startete das auch in der Schweiz. Da fing es dann bei Haldengut an zu bröckeln.
Aber Haldengut gab es ja weiterhin?
Die Leute waren so verwurzelt, die haben nur Haldengut getrunken. Als es aber von einem Grosskonzern aufgekauft wurde, wollten viele die Marke nicht mehr trinken. Als die Produktion dann noch nach Chur verlegt wurde, hat es das natürlich verschlimmert. Man sagt, das Wasser macht bei der Bierproduktion viel aus. Das ist heute nicht mehr so, aber früher war dieses Denken fest verankert. Haldengut gehörte für viele einfach nicht mehr zur Winterthurer Bierkultur. Bier, Heimat – das ist alles miteinander verbunden.
Sie sagen, das Denken war früher anders. Wie hat sich das sonst noch gezeigt?
Durch die Regelungen des Kartells hat man früher, wie gesagt, etwa zwei Biersorten gebraut. Das ist alles Massenware gewesen. Ausserdem waren alle Fan von Grosskonzernen. Man kannte ja nichts anderes.
Wie denkt man in Winterthur heute?
Der Grossteil will die Biervielfalt fördern. Grosskonzerne unterstützen die Winterthurerinnen und Winterthurer eher ungern. Das merken wir auch hier bei Hako. Zurzeit ist alles Regionale beliebt.
Ein neues Haldengut ist also nicht mehr möglich?
Nein, ein solches Monopol wäre in Winterthur und auch schweizweit definitiv nicht mehr möglich. Wenn du in die Migros gehst, hast du ja auch nicht nur 5 Joghurt-Sorten. Unsere Gesellschaft denkt heute einfach anders. Obwohl das Lagerbier in der Schweiz, wie es die grossen Brauereien produzieren, mit 75 Prozent immer noch den grössten Marktanteil hat, wird es die Craft-Beer-Spezialitäten auch immer geben.
Bierliebhaber*innen schätzen also die Biervielfalt. Würde es sich jetzt noch lohnen, eine Brauerei aufzumachen?
Nein, die Zeit ist vorbei. Das ist bei jedem Trend so: Er kommt und geht wieder. Und der Brauerei-Hype ist meiner Meinung nach langsam wieder am Abklingen. Aber: Die bestehenden Brauereien werden wahrscheinlich weiterhin bleiben. Hier in Winterthur ist es ein Miteinander, und das ist die richtige Einstellung. Einander kennen, sich gut verstehen, das ist fast wichtiger als das Produkt. Aber nur fast.
Winterthur, die Bierhauptstadt
Die Bierkultur in Winterthur hat eine spannende Entwicklung durchgemacht, die eine hohe Anzahl Brauereien hervorbrachte. Die umfangreiche Brauereidichte spaltet zwar die Meinungen, im Vordergrund steht aber nach wie vor die Biervielfalt und die Freude am Brauen. Das zeigte sich schon 2022 bei der Vergabe der Swiss Beer Awards 2022. In 40 Kategorien vergaben die Degustationsteams Medaillen an Bierhersteller*innen aus der Schweiz. Der Name Winterthur ist dabei ganze 12 Mal erschienen. Wie bereits die Limmattaler Zeitung schrieb: «Zürich mag die Hauptstadt des Kantons Zürich sein, doch Winterthur ist seine Bierhauptstadt.»

Jacqueline Wechsler studiert im vierten Semester Kommunikation an der ZHAW Angewandte Linguistik. Nebenbei schreibt die gelernte Polygrafin Alumni-Porträts für die ZHAW School of Management and Law. Davor absolvierte sie eine radiojournalistische Ausbildung beim Ausbildungs-, Community- und Musik-Radio Kanal K in Aarau.