Yverdon Sport steigt in die Super League auf. Der kleine Verein aus Nord-Vaudois ist innerhalb von zwei Jahren aus dem Amateurbereich in die nationale Elite durchmarschiert. Was ist Yverdons Erfolgsrezept? Eine Spurensuche.
Autor: Emanuel Staub
Titelbild: Yverdon Sport feiert den Aufstieg. (Freshfocus)
Als der Schiedsrichter die Partie abpfeift, brechen im Stade Municipal im malerischen Städtchen Yverdon-les-Bains alle Dämme. Feuerwerk explodiert über dem Spielfeld, hunderte Fans stürmen euphorisiert auf den Rasen. Spieler, Vereinsmitarbeiter und Zuschauer vermischen sich in einem freudetrunkenen Haufen. Es wird getanzt, gejohlt, umarmt und geweint. Nach einer Reise durch den Schweizer Amateurfussball gelingt Yverdon Sport Ende Mai 2023 der Aufstieg in die Super League.



In Yverdon gibt es nach dem erreichten Aufstieg kein Halten mehr.
Der kleine Verein vom Neuenburgersee schrieb an jenem Abend Vereinshistorie. Ein 1:1-Remis am zweitletzten Spieltag gegen den FC Aarau genügte den «Verts et Blancs», um den mathematischen Aufstieg zu sichern – und den Klub zum ersten Mal seit 17 Jahren wieder in die Erstklassigkeit zu führen. Erstaunlicherweise gelang Yverdon vor zwei Jahren erst der Aufstieg in die Challenge League. 24 Monate später steht der Verein in der höchsten Liga. Was steckt hinter diesem eindrücklichen Durchmarsch?
Ein Mann mit einer Vision
Jérémy Manière hat die Antworten, die wir suchen. Der Waadtländer lancierte seine Fussballerkarriere einst bei Yverdon Sport, heute ist er Challenge-League-Experte beim Schweizer TV-Sportanbieter Blue Sports. Im Gespräch erzählt er: «Eine so rasante Entwicklung kam natürlich unerwartet. Aber sie entsprang nicht dem Zufall.»
Yverdons Erfolgsgeschichte ist eng verknüpft mit Mario Di Pietrantonio, ein Immobiliengeschäftsmann aus der Region. «Er übernahm den Verein im Jahr 2014, damals noch in der 1. Liga Classic (vierthöchste Liga, Anm. d Red.). Er rettete Yverdon vor dem Konkurs und investierte viel Geld in professionellere Strukturen», so Manière. Di Pietrantonio verfolgte mit seinem Investment das Ziel, Yverdon Sport nach langen Jahren in der sportlichen Bedeutungslosigkeit zurück in den Profifussball zu bringen. «Als er kam, sprach er von der Super League. Wir alle dachten er sei verrückt – doch nun wird sein Traum wahr», sagt Manière.

Di Pietrantonio tilgte die Schulden des Klubs und führte ihn schliesslich im Jahr 2017 in die Promotion League. Dort etablierte sich Yverdon schnell an der Spitze. «Nach dem Aufstieg hatte er Blut geleckt. Er nahm viel Geld in die Hand für neue Spieler und Rennovationen am Stadion», erklärt Manière. Dazu gehörte auch, dass Di Pietrantonio teure Spieler mit klingendem Namen nach Yverdon lotsen wollte. Vor der ersten Saison in der Promotion League verpflichtete er mit Djibril Cissé einen französischen Stürmerstar mit einer Vergangenheit beim FC Liverpool. «Mit diesem Transfer brachte Di Pietrantonio Yverdon zurück ins Gespräch. Plötzlich erinnerten sich die Leute wieder an diesen kleinen Verein vom Neuenburgersee», so Manière.
DONE DEAL: Djibril Cisse has signed for Swiss third-tier outfit Yverdon Sport on a short-term deal. pic.twitter.com/6BC474KmAJ
— Squawka Live (@Squawka_Live) July 4, 2017
Auch auf dem Rasen zahlte sich der Transfer aus. Cissé wurde auf Anhieb Torschützenkönig und schoss Yverdon Sport auf den 3. Schlussrang. «Ab da war das Ziel klar: so schnell wie möglich in die Challenge League zu kommen», sagt Manière. 2021 war es dann so weit und Yverdon Sport stieg als Meister der Promotion League in die Challenge League auf – womit der Verein nach 11 Jahren in den Profifussball zurückkehrte.
Mit Vernunft und lokaler Identifikation in die Super League
Die erste Saison in der Challenge League verlief gut, unter Trainer Uli Forte konnte gar zum zweiten Mal in der Vereinshistorie das Cup-Halbfinale erreicht werden. Im Sommer letzten Jahres kam es dann aber zum Bruch: Forte wechselte nach Deutschland und Präsident Di Pietrantonio reduzierte das Budget von fünf auf vier Millionen. Alles deutete auf ein schweres zweites Jahr in der Challenge League hin – aber es kam ganz anders. Mit seinem neuen Trainer Marco Schällibaum überflügelte Yverdon in dieser Saison völlig unerwartet die finanzstärkere Konkurrenz aus Lausanne, Aarau und Thun.
«Mit diesem sportlichen Exploit hat niemand gerechnet», bekräftigt Manière. Den Grund für den unerwarteten Erfolg sieht er in der Vereinsstrategie, die nun auf vernünftiges Wirtschaften und lokal verwurzelte Mitarbeiter setzt. «Statt grosse Investitionen zu tätigen, baut der Verein konsequent Personen aus der Region ein. Marketing, Administration und Teammanagement werden von jungen Leuten aus Yverdon ausgeübt, die sich mit dem Klub identifizieren und Herzblut mitbringen. Sie sind die Seele des Vereins.»
Zeitstrahl: Innert sechs Jahren aus der Viertklassigkeit an die nationale Spitze

Probleme am Horizont
Aber nicht überall ist Yverdons Erfolg gerngesehen. «Der Klub ist eigentlich nicht bereit für die Super League», sagt Manière. Der positiven Entwicklung des Vereins zum Trotz, mangelt es in Yverdon nämlich nach wie vor an vielem. Allem voran an Zuschauern. Im Schnitt verfolgen gerade mal 1’525 Fans die Heimspiele im Stade Municipal. «Yverdon hat ein Standortnachteil. Im Waadtland steht man im Schatten von Lausanne-Sport und dem Lausanne Hockey Club», so Manières Erklärung.
«Auch die Stadioninfrastruktur und die finanziellen Rahmenbedingungen sind nicht Super-League-tauglich», fährt er weiter. Deswegen steht nun ein Verkauf des Vereins im Raum, wie Di Pietrantonio in einem Interview mit 24heures persönlich bestätigte. «Es braucht mehr Ressourcen und neue Investoren, wenn sich der Klub in der Super League etablieren will», findet auch Manière.

Diese Kombination aus mangelnder Fankultur, veraltete Infrastruktur und ungewisser finanzieller Zukunft macht Yverdon Sport aus Sicht gewisser Vertreter der Swiss Football League zu einem ungeeigneten Aufsteiger. Die Attraktivität der Liga nehme durch Vereine wie Yverdon ab, so die Befürchtung. Manière kann diese Sicht verstehen, meint aber: «Yverdon gehört von seinen Möglichkeiten her eher in die Challenge League – schreibt aber eine schöne Underdog-Geschichte und hat es sich sportlich verdient, in der nächsten Saison in der Super League anzutreten.»
Die Lizenz-Frage
Yverdon erhielt überraschenderweise in 1. Instanz die Lizenz für die Super League. Damit ist der Verein nicht nur sportlich, sondern auch reglementarisch am Spielbetrieb teilnahmeberechtigt. Im Vorfeld gab es gewisse Bedenken, ob die Swiss Football League Yverdon angesichts der infrastrukturellen Situation im Stade Municipal auch wirklich eine Lizenz erteilen würde. Doch die Liga gibt grünes Licht, womit Yverdons Super-League-Abenteuer nichts mehr im Weg steht. In zwei Bereichen muss der Verein vor dem Start der neuen Saison aber trotzdem noch Anpassungen vornehmen, wie Sportdirektor Marco Degennaro gegenüber dem Blick bestätigt. Einerseits muss eine stärkere Lichtanlage beschafft, andererseits die Sicherheit verbessert werden. „Die geforderten Anpassungen sind absolut machbar“, so Degennaro. Die Gemeinde unterstützt den Verein dabei finanziell: „Der Gemeinderat hat grünes Licht gegeben für einen Kredit in der Höhe von 1,5 Millionen.“
Wieso könnte Yverdon Sport ein echter Farbtupfer für die Super League sein? Jérémy Manière erklärt im Audio-Beitrag, was den Aufsteiger von anderen Vereinen abhebt.
Aufstiegsinterview mit Yverdon-Verteidiger Breston Malula
„Ich hätte den Aufstieg nicht für möglich gehalten“
Breston Malula (22) ist in der Defensive des Aufsteigers ein sicherer Wert. Der gebürtige Berner stellt im Interview seinen Verein vor, gibt Einblicke in eine schwere Karrierephase – und meint mit breiter Brust: „Wir werden in der Super League für die ein oder andere Überraschung sorgen.“

Gratulation zum Aufstieg, Breston! Nimm uns mit: Wie verliefen die Feierlichkeiten?
Die Feier war wild, spontan und sehr schön. Aber wir gingen noch nicht auf «tutti». Erst wenn wir nach dem letzten Spieltag den Pokal nach Yverdon bringen, steigt die ganz grosse Party.
Was bedeutet dir persönlich dieser Erfolg?
Ich bin ein «Berner Giel» aus dem YB-Nachwuchs. Ich wollte immer schon in der Super League spielen. Ich musste den Umweg über die Challenge League nehmen, doch nun ist es endlich so weit. Damit geht für mich ein Bubentraum in Erfüllung. Vor zwei Jahren wechselte ich zu Yverdon in die 2. Mannschaft, die in der 2. Liga Interregional spielt – nun steige ich als Stammspieler der 1. Mannschaft in die höchste Liga auf. Nach harter Arbeit, viel Schmerz und Tränen ist dieser Aufstieg für mich eine lang ersehnte Belohnung.
„Für mich geht ein Bubentraum in Erfüllung“
Breston Malula zum Aufstieg mit Yverdon Sport.
Du hast es gerade angesprochen: Als du 2021 zu Yverdon kamst, warst du gerade frisch mit Chiasso abgestiegen und eigentlich nur für die 2. Mannschaft eingeplant…
Im Tessin hatte ich ein schweres Jahr. Nicht nur der Abstieg war hart, auch dass ich das erste Mal weg von daheim war und die Sprache nicht konnte, machte mir zu schaffen. Sportlich lief es überhaupt nicht, ich kam zu sehr wenig Spielzeit und erhielt kaum Vertrauen vom Trainer. Ich habe nach dem Abstieg meinen Vertrag aufgelöst und war danach mehrere Monate vereinslos. Ich absolvierte links und rechts Probetrainings und hielt mich bei SAFP (Swiss Association of Football Player. Bietet Trainingscamps für arbeitslose Fussballer an, Anm. d Red.) fit. Dann kam plötzlich die Anfrage von Yverdon. Auch wenn sie mich nur für ihre 2. Mannschaft wollten, willigte ich ein, da ich den Traum vom Profifussball nicht aufgeben wollte. Schnell wurde ich dann von Trainer Uli Forte in die 1. Mannschaft befördert und der Rest ist Geschichte. Yverdon war für mich der richtige Verein zum richtigen Zeitpunkt.
Hand aufs Herz: Vor der Saison hätte niemand mit einem Aufstieg gerechnet, oder?
Wenn ich ehrlich bin, habe ich vor der Saison überhaupt nicht damit gerechnet. Wir hatten eine gute Sommervorbereitung und das Kader blieb grösstenteils zusammen. Aber ich persönlich hätte es nicht für möglich gehalten. Andere im Team waren da optimistischer. Trotzdem war klar, dass die Chance aufgrund der Super-League-Aufstockung in diesem Jahr so gross ist wie sonst kaum je.
„Ich persönlich hätte den Aufstieg nicht für möglich gehalten“
Breston Malula wurde selber vom Erfolg überrascht.
Was antwortest du Kritikern, die finden, dass Yverdon nichts in der Super League zu suchen hat?
Ich verstehe die Kritik nicht. Wir haben eine Lizenz erhalten und sich spielberechtigt. Ja, unser Stadion ist kein Wankdorf oder St. Jakob-Park, aber es hat viel Charme. Ausserdem werden nun die nötigen Rennovationen vorgenommen.
Auf was darf sich die Super League freuen?
Die Fans dürfen sich mit Yverdon-les-Bains auf eine hübsche Stadt mit einem schönen See freuen. Zudem auf einen bodenständigen Klub mit einer langen Geschichte und viel Tradition. Der Verein ist in der Region sehr gut angesehen. Wir mögen klein sein, sind dafür aber sehr frech und aufmüpfig in Spielen gegen grosse Teams. Wir werden in der Super League für die ein oder andere Überraschung sorgen.
Was zeichnet eure Mannschaft aus?
Wir haben eine sehr gute, lebendige Mischung aus jungen Spielern und Routiniers. Der Jüngste kann mit dem Ältesten gemeinsam lachen. Jeder spricht mit jedem und respektiert den anderen, das macht unsere Stärke aus. Einen solchen Teamgeist habe ich im Profifussball bis jetzt noch nie erlebt.

Wie verlief die Arbeit mit Marco Schällibaum? Wie gross ist sein Einfluss auf diesen Erfolg?
Sehr gross. Er kam in den Klub und musste direkt eine Budgetkürzung hinnehmen. Davon liess er sich aber nicht beirren und zeigte uns einen gemeinsamen Weg auf. Er brachte neue Ideen und frischen Wind in die Mannschaft. Er arbeitete mit uns an unseren Schwächen und half uns, Konstanz zu finden. Auch zwischenmenschlich hat er viele Qualitäten. Er ist sehr emotional, findet aber immer die richtigen Worte, wenn es mal nicht läuft.

Emanuel Staub studiert an der ZHAW Kommunikation im 4. Semester. Er arbeitet nebenbei im Sportjournalismus bei Ringier und als Chief-Editor des Schweizer Fussballmediums Bolzplazz.